05.05.2025 08:39:13

Wahnsinn im Schwitzkasten

Kolumne

Die Kapriolen an der Börse diese Woche halten sich in Grenzen, vielleicht sind wir und die Investoren bereits ein gerüttelt Maß abgestumpft, positiver ausgedrückt: gelassen. Aufgrund des Tages der Arbeit ruhte diese ja auch an der Börse zumindest für einen Tag.

Atemlos - für 100 Tage

Das Thema, das die Börse bisher zumindest (und wohl auch in Zukunft) bewegt, ist Donald Trump, und der feiert betont selbstbewusst die ersten 100 Tage im Amt. "Donald Trumps Zustimmungsrate erreicht neuen Tiefpunkt", meldet die Süddeutsche Zeitung aus diesem Anlass, während das Handelsblatt in Anlehnung an Helene Fischer von der "Atemlos-Präsidentschaft" spricht und die tz kurz und bündig "100 Tage Wahnsinn" meldet. An unangenehme Zeiten aus der Grundschule erinnert die Börsen-Zeitung: "US-Zölle halten Europas Autobauer im Schwitzkasten". "Der falsche Mann am falschen Platz", schreibt Jürgen Kaube in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - aber Halt, er meint gar nicht Trump im Weißen Haus, sondern den designierten Kulturstaatssekretär im Kanzleramt. Wir äußern uns dazu nicht weiter und fragen uns nur, ob das Gegenteil von "Vorschusslorbeeren" eigentlich "Vorurteil" lautet? Und dann gab es noch den "Blackout in Südeuropa", zu lesen im Münchner Merkur. Erst standen die Märkte wegen Trump unter Strom, dann gab es gar keinen Strom mehr. Über die Ursachen wird noch gerätselt. Deshalb raten Experten, vorsorglich Vorräte für mindestens 10 Tage vorzuhalten - mit immer hungrigen Heranwachsenden scheinen sie nicht zu rechnen oder davon auszugehen, dass man neben der Wohnung noch über einen Kühlraum in ähnlicher Größe verfügt. Und nicht zuletzt: Seit Freitag gibt es, erstmals seit 2019, wieder Schweizer Aktien an der Börse - so lange dauerte es, bis die EU und die Eidgenossen ihren Streit beigelegt hatten. "Schweizer Aktien wieder in Deutschland handelbar", meldet die Frankfurter Allgemeine und macht etwas verspätet mit den bekannten Osterhasen eines Schweizer Schokoladenkonzerns auf.

Aktien-Power

Eine einheitliche Linie konnten wir bei den aktuellen Finanzmagazinen nicht entdecken - und das ist gut so. Focus Money hat aus einem 5-Euro-Schein einen hübschen Schmetterling gefaltet, denn das Magazin wirbt mit "5 Euro pro Tag zum Millionär". Möglich machen das "1100 % Rendite in 20 Jahren". Mit Schmetterlingen im Portemonnaie statt im Bauch finden wir so den "Weg zur finanziellen Freiheit". Börse Online liefert uns den "ultimativen Härtetest" und meint damit den "DAX". Weiter heißt es, grammatikalisch vielleicht etwas grenzwertig: "Diese Aktien sind jetzt ein Kauf". Außerdem gibt es wohl noch einen "Merz-Effekt - so treibt er die Börse an". Der Aktionär explodiert geradezu, zumindest grafisch. "Power Aktien" haben die Redakteure ausgepackt: "Stressige Börse. Doch diese Titel drehen jetzt kräftig auf". Auch bei Euro am Sonntag explodiert die Grafik, der Tenor ist aber ein ganz ein anderer: "Mega-Sprengsatz für die Börse - Warum der Weltwirtschaft ein Crash droht - und wie Sie sich schützen". Schließlich kann man gar nicht früh genug vor einem Crash warnen, irgendwann wird’s schon klappen. Die verwendete Grafik - eine schwarze, explodierende Erde vor gelbem Hintergrund - ist dem Warnschild für explosionsgefährliche Stoffe entlehnt und/oder der berühmten "Vorsicht-Kunst"-Grafik von Klaus Staeck aus dem Jahr 1982.

Frauen-Power

Wir bekommen jetzt bekanntlich und erstmals eine Frau als Wirtschaftsministerin, da passt es doch, dass laut Zeit Online in den Aufsichtsräten und Vorständen großer Unternehmen so viele Frauen sitzen wie nie zuvor. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls die "Organisation Frauen in die Aufsichtsräte - Fidar". Zum 1. April macht deren Anteil bei den Aufsichtsräten privater Unternehmen inzwischen 37,5 Prozent aus - das ist fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren. In öffentlichen Unternehmen sind es mit 38,9 Prozent nur unwesentlich mehr. Eine Ursache liegt in einem Gesetz mit dem schönen Namen "Führungspositionengesetz". Das schreibt börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen eine Frauenquote vor - seit 1.1.2016 müssen bei der Neubesetzung von Aufsichtsräten mindestens 30 Prozent mit Frauen besetzt werden. Seit 2022 gibt es das Gesetz in zweiter Auflage, bei Vorständen von mehr als drei Mitgliedern muss nun mindestens eine Frau im Führungsgremium vertreten sein. Bei aller Begeisterung sollte nicht unerwähnt bleiben, dass insgesamt nur 100 private Unternehmen dieser Aufsichtsratsquote unterliegen.

Brücken-Power

Und da heute ein sogenannter Brückentag ist, der sich gemein zwischen Feiertag und Wochenende quetscht und eine Restbelegschaft an die Schreibtische zwingt, zitieren wir einen Artikel aus Die Welt: "Bundesrechnungshof stellt fatales Brücken-Zeugnis aus". Doch damit sind weder jene gemeint, die diese ärgerlichen Tage mittels Urlaub austricksen, noch die Gilde der Zahnärzte, deren filigrane Brückenbauten auch nicht für die Ewigkeit gedacht sind. Vielmehr war der Ausgangspunkt des Artikels "Carola", also jene Brücke in Dresden, die sich aus ihrer eigentlichen Funktion, die Elbe zwecks Überquerung zu überspannen, verabschiedete und mitten in der Nacht und ohne Beanspruchung mit lautem Seufzen im Fluss versank. Laut Bundesrechnungshof müssen 5.000 Brücken modernisiert werden. So recht in Gang kommt trotz gegenlautender Verkündigungen des Verkehrsministeriums die bundeseigene Autobahn GmbH jedoch nicht, ob hier falsch verstandene und sich aufsummierende Brückentage die Ursache bilden, konnte nicht eruiert werden. Jedenfalls wurden beispielsweise von den 2024 geplanten 280 Teilbauwerken gerade einmal 69 modernisiert. Was die Autobahn GmbH für dieses knappe Viertel ausgegeben hat, konnte sie nicht melden, weshalb das Verkehrsministerium im Dunkeln tappt, wie hoch der Kapitalbedarf überhaupt ist. Dass 2032 das Programm abgeschlossen ist, scheint aussichtslos - bis dahin dürften noch sehr viele Brückentage verstreichen.

Ulrich Kirstein ist Pressesprecher der Börse gettex. Der Betriebswirt und Kunsthistoriker schreibt über Literatur und Börse, interviewt alle 14 Tage in Börse am Donnerstag den Leiter Marktsteuerung und hat u.a. mit Christine Bortenlänger Börse für Dummies und Aktien für Dummies verfasst.

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